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Klein Germersleben

Das Streben nach Höhe und Bestnoten für Fischerdorf

Wenn es kurz vor den Schulferien im Sommer und Winter Zensuren hagelt, denken die wenigsten an den Verursacher dieser Noten. Das noch heute angewendete Zensurensystem verdanken wir Schulreformer Gotthilf Sebastian Rötger (1749 - 1831). Dass dieser im Bördeort Klein Germersleben das Licht der Welt erblickte, wissen die wenigsten. Als Sohn des Sebastian Peter Rötger, Pastor in Klein Germersleben, und der Margarethe Christine Rötger, Tochter des Rektors der Magdeburger Domschule, verbrachte er hier im Pfarrhaus des Ortes die ersten Jahre seines Lebens. Daran erinnert noch heute eine Gedenktafel. In den Räumen des Fachwerkhauses aus dem 17. Jahrhundert finden Besucher eine Dauerausstellung zum Wirken des Gelehrten. Ein extra eingerichtetes Kabinett vermittelt Wissenswertes über Gotthilf Sebastian Rötger sowie zur Geschichte des Ortes. Gotthilf Sebastian Rötger wirkte für lange Zeit seit seiner Wahl 1779 im Pädagogium des Klosters Unser Lieben Frauen in Magdeburg als Propst. Er reformierte in seiner Amtszeit das bisher bestehende Schulwesen. Rötger zweifelte nie an der Intelligenz von Kindern armer Leute und wollte auch diesen den Zugang zur Bildung ermöglichen. Er war zudem ein pädagogischer Praktiker mit außerordentlichen Fähigkeiten, der den Ruf der Klosterschule und seines Pädagogiums auch durch die schwierigen Zeiten der französischen Besetzung hindurch sicherte. Bemerkenswert sind auch die Umgestaltung des Unterrichts und der Erziehung mit der Einführung von Zensuren, der Einrichtung einer Maschinenkammer, einer Schülerbibliothek und eines Naturalienkabinetts. Auch gesellschaftlich engagierte sich Rötger - die Klosterbälle (seit 1780) und Kreuzhorstfeste (Exkursionen in das zum Kloster gehörige Landschaftsgebiet Kreuzhorst vor den Toren Magdeburgs) gehen auf ihn zurück. Der überaus beliebte und verehrte Pädagoge bekam schon zu Lebzeiten den Ehrennamen „Vater Rötger”. Zu seinem fünfzigjährigen Jubiläum als Pädagoge verlieh ihm die Universität Halle den Titel eines theologischen Ehrendoktors. Für seine Verdienste erhielt er kurz vor seinem Tode die silberne Bürgerkrone der Stadt Magdeburg. In späterer Zeit benannte die Stadt Magdeburg ihm zu Ehren eine Straße als Rötgerstraße. Klein Germersleben selbst lebte über Jahrhunderte vom Reichtum der Börde. Zuckerrüben sicherten dem Ort - erstmalig 937 als Lütgen Germersleve erwähnt - den Wohlstand. Sogar als Fischerdorf war der Ort bekannt: zwei Fischteiche in Senken ernährten in den Fastenzeiten die Bewohner. Dennoch blieben die Germersleber Einwohner stets fromm. 1636 entstand im 30-jährigen Krieg bei Klein Germersleben ein Feldlager, in dessen Folgen der gesamte
Ort zerstört wurde - 16 Jahre wohnte kein Mensch mehr hier. Die zerstörte Kirche mit romanischen Ursprüngen bauten Anwohner erst 1652 wieder auf. Sie war auch die Taufkirche von Gotthilf Sebastian Rötger, dessen Familie schon 1660 einen Taufstein stiftete. Ende des 19. Jahrhunderts errichteten die Germersleber eine neue Kirche im neugotischen Stil. Die
Mauern der alten Kirche umgrenzen noch heute das Kirchengelände. Der neue „Zuckerdom” sollte vom Reichtum der Bürger zeugen - er hat einen sehr hohen, quadratischen Westturm. Vier kleine Türme krönen neben dem Helm seine Spitze. Ursprünglich sollte der Turm zu den höchsten der Region zählen. Mehr als 60 Meter Höhe hatte er schon in der Bauphase (von 1899 bis 1902) erreicht, als ein gewaltiger Sturm dem Streben nach Höhe ein jähes Ende setzte. Trotzdem zählt die Kirche St. Aegidie mit ihrer Höhe von 54,5 Metern zu den imposantesten Bauwerken in der Börde. Das fünfjochige Schiff und der eingezogene Chorraum sind kreuzrippengewölbt. Im Mittelfenster des Chores sieht man die Anbetung der Heiligen
Drei Könige. Ab 1980 verhinderten Dachschäden die weitere Nutzung als Gotteshaus, der Abriss war geplant, das Inventar schon „verscherbelt”. 1988 erst kam der Sinneswandel und die Sanierung des Daches begann. Den Taufstein konnte man aus einem Kohlehaufen bergen und das Innenleben der Kirche wird liebevoll und detailliert restauriert. Das die Kirche noch
heute so prachtvoll steht, verdanken die Klein Germersleber Pfarrer i. R. Peter Telschow und vielen Helfern und Spendern, die den Erhalt der Kirche St. Aegidie sichern.