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 BIOGRAPHIE
Interview

INTERVIEW

Klaus-Dieter Kopf

Fragen zu den Werken (Schwerpunkt achtziger Jahre)

S. K.: Welche Bedeutung haben die achtziger Jahre für Ihr Gesamtschaffen?
K.-D. K.: Während meiner freischaffenden Tätigkeit in den achtziger Jahren entstanden 50 Kompositionen unterschiedlicher Genres.
S. K.: Welche Werke aus diesem Zeitraum sind hier beispielsweise zu nennen?
K.-D. K.:
1. „Unter dem Flügel des Albatros” für Glasstabspiel;
2. „Das Tagebuch der Anne Frank”, Liederzyklus für Sopran und Klavier (nach Originaltexten vom Komponisten eingerichtet);
3. „Luther”, Oratorium in drei Teilen (Libretto vom Komponisten) für Mezzosopran, Tenor, Bariton, Madrigalchor, 3 Posaunen und Streichquartett;
4. „Ikarus” I für 2 Violen, Violoncello und Kontrabass;
5. Sonate für Violoncello und Klavier >Franz Marc<, und Sonate für Violine und Klavier >Die Kraniche des Ibykus<;
6. „Jona”, Konzert für Orgel, und „Hommage Bach“ für Orgel;
7. Sonate und „Dialog” für Kontrabass-Solo;
8. „Otto von Guericke”, Oratorium in sechs Teilen (Libretto vom Komponisten nach 33 Quellen) für Sopran, Alt, Tenor, Bassbariton, großen Chor und großes Orchester;
9. „Wahrzeichen” – Famae Magdeburgenses –, Oratorium in sieben Teilen (Libretto vom Komponisten) für Sprecherin, zwei Baritone und Orchester;
10. „Der Mann von 50 Jahren”, Oper in vier Akten (Libretto vom Komponisten nach J. W. von Goethe und einer Vorlage der Grafik von 36 Blättern zum gleichnamigen Titel von Max Liebermannn) für 12 Solosänger, Chor und Orchester.

Fragen zu Aufführungen

S. K.: Für welche Anlässe, z.B. Musiktage, Kulturfesttage, Arbeiterfestspiele, waren Aufführungen vorgesehen? Welche Werke gelangten zur Aufführung?
K.–D. K.: Streichquartett II; Blockflötenkonzert; Aphoristische Variationen über einen Streit in der Tierwelt für 5 Streicher, Bläserquintett und Harfe; „Dialog“ für Kontrabass-Solo: Hallische Musiktage; „Ikarus” I: Magdeburger Kulturfesttage; „Telemann – Adaption” für Glastabspiel und Orgel: Telemann-Musiktage Magdeburg und DDR-Musiktage Berlin; 5 Lessing – Lieder: Arbeiterfestspiele in Greifswald; Cembalokonzert: Arbeiterfestspiele in Michaelstein;
Michaelsteiner Divertimento in vier Sätzen und Kleine Suite in drei Sätzen für Orchester: Blankenburger Musiktage bzw. zu Sommerkurse in Michaelstein (bei Blankenburg).
S. K.: Waren Aufführungen in Konzertreihen eingebunden? Wenn ja, welche Werke wurden in welchen Reihen aufgeführt (Reihen der zeitgenössischen Musik, Stunde der Musik, Kulturbund u. ä.)?
K.-D. K.: In der Reihe „Zeitgenössische Musik im Gespräch” wurden u. a. das „Luther-Oratorium”, „Ahrenshoop”, „Jona”, „Das Tagebuch der Anne Frank”, 15 Charakterstücke für Klavier, die „Kammermusik für Blechbläser in sieben Sätzen” und Lieder für Kinder- und Jugendchor (u. a. auch „Apfelkantate”, Text Hermann Claudius) in der Konzerthalle Georg Philipp Telemann in Magdeburg aufgeführt. Zu Telemann-Festtagen erklangen Telemann-Adaption und Metamorphosen nach John Hiltons „Geselligen Liedern”.
In Kulturbundveranstaltungsreihen der AG für Musik bzw. der Stadtleitung des Kulturbundes (u. a. auch zu Ausstellungseröffnungen u. ä.) erklangen u. a. Glasmusik '79, 5 Tricinien für drei Blechbläser, Serenade für Flöte und Kontrabass und „Sphärische Inventionen” für Glasstabspiel in vier Sätzen (UA 1986 zum internationalen Glassymposium in Lauscha), Metamorphosen für Flöte, Violine und Kontrabass (Violoncello), „Das Tagebuch der Anne Frank” und div. Klavierstücke aus insgesamt 60 Klavierstücken zu zwei und vier Händen für Musikschulen.
In Veranstaltungsreihen der „Stunde der Musik”: u. a. Sonaten für Violoncello und Klavier und Violine und Klavier, „Ammerbach-Variationen” für Harfe, Violoncello und Orgel, Liederzyklus „Das Tagebuch der Anne Frank”, „Ahrenshoop”, sieben lyrische Gesänge für Chor a capella nach der gleichnamigen Dichtung von J. R. Becher.
Zu Hallischen Musiktagen u. a. 3 Lieder für Singstimme und Klavier (Texte von Klaus Wolf, Birgitt Lieberwirth und Heinrich Heine), „Dialog” für Kontrabass-Solo, 2. Streichquartett.
Zu den Dresdener Musiktagen: Sonate für Kontrabass – Solo in 3 Sätzen.
Zu den DDR – Musiktagen in Berlin: „Hommage Bach” und „Telemann – Adaption”.
Zu Musikfesttagen in Magdeburg gelangten: WAHRZEICHEN – Famae Magdebur-genses, Tripelkonzert für Flöte, Oboe, Fagott und Streichorchester und „Aphoristische Variationen über einen Streit in der Tierwelt” zur Aufführung.
S.K.: Welche Interpreten waren für Sie wichtig?
K.-D. K.: Bromann (Sopranistin), GMD Wambeck, Stolpe (Sopranistin) Hagdedorn (alle Magdeburg), Dalitz (Schauspielhausorganist Berlin), Unger (Madrigalchorleiter Sondershausen), Gebauer (Blockflötist Leipzig), Scheitzbach (Cellist Berlin), Wächter (Violine Leipzig), Stöckigt (Pianist Berlin), Städtisches Orchester Magdeburg, Telemann-Kammerorchester, Sreichquartett Berlin, Ensemble „Konfrontation“ Halle.
S. K.: In welchen Orten und Räumlichkeiten fanden die wichtigsten Aufführungen Ihrer Werke statt?
K. –D. K.: Magdeburger Konzerthalle, Schauspielhaus Berlin, Kreiskulturhaus Lichtenberg (Berlin), Thomaskirche Leipzig, Kloster Michaelstein, Aufführung von „Jona“ in Prag, Bläserquintett in Riga, Moritzburg und Puschkinhaus in Halle (dort u a. Aufführungen mit dem Glasstabspiel), 1. und 2. Programm des DDR-Fernsehens mit Sendungen über „Glas” (im Bildungsfernsehen), Dom Brandenburg (Havel)
S. K.: Wo fanden die meisten Aufführungen statt?
K. –D. K.: In Magdeburg, Halle und Michaelstein.
S.K.: Gab es Fälle, bei denen ihr jeweiliges Werk ungenügend zur Geltung kam? Welche?
K. –D. K.: Im Hof des Klosters Michaelstein wurde die Uraufführung des Konzerts für Cembalo und Orchester durch Vogelgezwitscher erheblich gestört. Die Aufführung des Tripelkonzertes für Flöte, Oboe, Fagott und Streichorchester zu den Musikfesttagen in Magdeburg 1989 war teilweise entstellt, da eigenmächtig Sprünge vorgenommen wurden und die Komposition durch das Streichorchester teilweise fehlerhaft interpretiert wurde.
Innerhalb der Ringaufführung des Oratoriums WAHRZEICHEN – Famae Magdeburgenses – 1989 wurden die dynamischen Angaben im Orchester zu wenig berücksichtigt. Demzufolge fand auch die Akustik in der Konzerthalle in Magdeburg durch das Konzertorchester Wernigerode zu wenig Berücksichtigung.
S. K.: Kamen Aufführungen (auch überregionale) eher durch persönliche Kontakte oder/und durch gesellschaftliche Gegebenheiten zustande? Können Sie Beispiele nennen?
K. –D. K.: Durch persönliche Kontakte zu Heinz Unger: Ahrenshoop und Luther in Sondershausen und Magdeburg. Durch persönliche Kontakte zu Joachim Dalitz: „Jona“ in Magdeburg, Rostock und Gera. „Hommage Bach” in Berlin, Prag und Leipzig, „Telemann-Adaption” in Magdeburg und Berlin.
Mehr durch gesellschaftliche Gegebenheiten bzw. Verhandlungen mit gesellschaftlichen Partnern: Kulturbund, Verband der Komponisten und Musikwissenschaftler, Rat des Bezirkes Magdeburg, Rat des Kreises Sondershausen, und Haldensleben, Rat der Stadt Magdeburg, und Schönebeck, Konzert- und Gastspieldirektion des Bezirkes Magdeburg, SKL, Bezirksmusikschule Magdeburg, Puppentheater Magdeburg (Magdeburger Hofspektakel und Borchertprojekt), Sommerkurs Michaelstein.
S. K.: Gab es Aufführungen im Ausland? Wenn ja, welche und wie kamen sie zustande (Austausch, persönliche Beziehungen u. ä.)?
K. –D. K.: Bläserquintett in Riga (Austausch mit Orchestermusikern der dortigen Oper);
Orgelkonzert in Prag durch Joachim Dalitz u. a. mit „Hommage Bach”;
2. Streichquartett bei einem Gastspiel des Streichquartetts des Magdeburger Theaters in Hradec Králové (ČSSR).
S. K.: Wie schätzen Sie das damalige Publikumsinteresse im Vergleich zu heute ein?
K. –D. K.: Da das Publikumsinteresse häufig als „Kulturbeitrag des Werktätigen” apostrophiert wurde, war das Interesse häufig zur Pflicht erhoben. Diese gesellschaftliche Pflicht wurde von einem Teil des Publikums widerwillig wahrgenommen. Bei anderen Teilen des Publikums wurden Interessen geweckt. Heute können wir zwar von einem weitgehend ungezwungenen Interesse sprechen, dies eröffnet aber einem weniger kritischen Hörer neuer Musik keinen „sanften Zwang, unentdeckte Wege“ auf dem Gebiet der neuen Musik erproben zu wollen. Einerseits konnte man eine lebendige Begegnung mit dem Hörer nur begrenzt unter Zwang durchführen, andererseits ist durch die Reihe „Zeitgenössische Musik im Gespräch” bewiesen, dass Interesse gefördert werden kann, durchaus angemessene Anstrengungen einen entsprechenden Erfolg bringen konnten bzw. bringen könnten.
S. K.: Gab es Gespräche mit den Hörern? In welcher Form, organisiert oder spontan?
K.–D. K.: Nicht nur in Magdeburg, sondern auch in kleineren Städten wie Haldensleben, Schönebeck, Tangerhütte, Gommern und Salzwedel kam es zu Gesprächen mit dem Publikum. In der Öffentlichkeit fand allerdings nichts ohne Beobachtung durch Staatsfunktionäre statt. Trotz dieser Voraussetzungen kam es bei Kulturveranstaltungen spontan zu Gesprächen. Ansonsten waren Gespräche mit dem Publikum organisiert. „Zeitgenössische Musik im Gespräch” wurde zunächst vom Staat gern gesehen, wenn auch meine Tätigkeit als Spiritus Rector mit Argwohn überwacht wurde. Ein Teil der Rechercheergebnisse der Zentralstelle Berlin sowie der Außenstellen Halle und Magdeburg liegt mir vor. Danach führte ein Publikumsgespräch über zeitgenössische Musik im Café des Klosters Unser Lieben Frauen nach der Aufführung meines Oratoriums LUTHER am 1. Oktober 1984 zu meiner Observation durch die Staatssicherheit. Ein inoffizieller Mitarbeiter der Staatssicherheit (IMS) war bei diesem Gespräch zugegen. Die sogenannte Quelle verfügte laut Staatssicherheit über „umfangreiche Musikkenntnisse“. Dies entspricht nicht den Tatsachen. Der Informant gibt in seinem ausführlichen Bericht Auskunft über das Gespräch mit dem Publikum. Darin stellt er fest, dass ich „nicht im politisch – ideologischen Interesse unserer Kulturpolitik” liege. Dieser Bericht gab der Staatssicherheit Anlass, mich observieren zu lassen. Hier ist auch der Grund zu finden, dass letzten Endes die von mir geleitete Reihe zum Erliegen kam.
zum Erliegen kam.
S. K.: Wie beurteilen Sie die Reaktion auf Ihre Kompositionen in Presse und Rundfunk?
K.-D. K.: Die Öffentlichkeit sollte stets informiert sein, dass Kultur und Kunst gefördert wurden. Insofern wurde oft auch ausgiebig auf jede Aufführung bzw. jedes künstlerische Geschehen reagiert.

Fragen zur Auftragslage

S. K.: Wurden Sie angemessen gefördert?

K. –D. K.: Regional wurde ich angemessen gefördert. Bei überregionalen Aufführungen handelte es sich meist um persönliche Beziehungen, die mitunter einmalig zum Tragen kamen.
S. K.: Von welchen gesellschaftlich relevanten Institutionen erhielten Sie Aufträge?
K. –D. K.: Rat des Bezirkes Magdeburg, Rat der Stadt Magdeburg, Verbände (VKM und VBK), Kulturbund, Rat des Kreises Sondershausen, Kloster Michaelstein, Schauspielhaus Berlin.
S. K.: Welche vertraglichen Bindungen (Großbetrieb, Ensembles, Volkskunst u. ä.) bestanden? Wenn ja, wodurch?
K. –D. K.: SKL, Telemann Kammerorchester.
S. K.: Fühlten Sie sich durch die Auftragssituation in Ihren künstlerischen Intentionen eingeschränkt (Berücksichtigung von weniger leistungsfähigen Ensembles, thematische Vorgaben u. ä.)? Wenn ja, wodurch?
K. –D. K.: Da man nicht nur von der Leistungsfähigkeit der Ensembles und der Bereitwilligkeit von Dirigenten abhängig war (und ist), sondern vor allem durch die staatlichen Vorgaben, die das gesamte Spektrum besetzten, entstand ein schiefes bzw. gespaltenes Bild meiner Tätigkeit. So gab es nur wenige Wiederaufführungen meiner größeren Werke (Magdeburger Oratorium, Luther). Trotz positiver Einschätzungen des VKM meiner Oper „Der Mann von 50 Jahren“ setzte sich eine abschlägige, dem Ideengehalt wenig entsprechende Meinung bei der SED-Bezirksleitung Magdeburg bzw. dem Rat des Bezirkes Magdeburg, Abteilung Kultur in der Ablehnung einer Vertragserteilung durch. Diese Arbeit habe ich schließlich ohne finanzielle Unterstützung bzw. ohne Vertrag durchgeführt. Beim Oratorium „Otto von Guericke“ wurde mir vom Rat des Bezirkes Magdeburg ein Vorvertrag angeboten, da ich zunächst eine Erarbeitung dieses Themas nicht für möglich hielt. Nach sehr langer Beschäftigung und Gesprächen mit der AG „Otto von Guericke“ wandte ich mich vehement dem Thema zu. Da ich ausschließlich wissenschaftliche und künstlerische Quellen für das Thema künstlerisch nutzte bzw. das Libretto ohne Mitwirkung von Schriftstellern bzw. dem Schriftstellerverband erstellte, wurde dieses Vorgehen beargwöhnt, zumal der Schriftstellerverband beteiligt sein wollte. Abgesehen von einem angestrebten kollektiven Gemeinschaftswerk zum Thema BACH wurde ich zu thematischen Vorgaben nie genötigt.
S. K.: Gibt es Werke, mit denen Sie sich heute nicht mehr identifizieren würden? Wenn ja, welche Werke?
K. –D. K.: Solche Werke gibt es nicht.
S. K.: Wirkte sich das sozialistische System tatsächlich auf Ihre Kompositionen aus, oder sehen Sie Ihre Arbeiten davon eher unberührt?
K. –D. K.: Ich kann nicht sagen, ob ich in einem anderen System gravierend anders komponiert hätte. Da ich ja ständig mit den Umständen konfrontiert war, hat dies sicher auch Einfluss auf mein Schaffen gewonnen. Andererseits habe ich mich bemüht, mir und meinem künstlerischen Anliegen treu zu bleiben.
S. K.: Ist die heutige Förderung besser oder schlechter als in den achtziger Jahren?
K. –D. K.: Die Förderung der Künstler war erklärtes Programm des Staates. Die bedrückenden totalitären Zustände konnten sich möglicherweise im Schaffen auswirken (das kann ich nicht beurteilen), aber dies änderte nichts daran, dass die Förderung freischaffender Komponisten systemimmanent war. Die Auseinandersetzung mit dem System ging an keinem ernsthaft tätigen Künstler spurlos vorbei. Während der Kampf im sozialistischen System sehr nach innen gerichtet war und speziell mein Agieren auch durch den Argwohn des Staates belastet war, musste ich mich nach 1989 mit der ganz anders gearteten Förderungsstruktur auseinandersetzen. Für eine kleine Anzahl freischaffender Komponisten war weder ein Förderungsprogramm für freischaffende Komponisten noch irgend eine Rechtsgrundlage für deren materielle Existenz vorhanden. Während im sozialistischen System der Staat unbedingt die Entwicklung einer sozialistischen Persönlichkeit in die Hand nehmen wollte, stellt die Ausbildungsstruktur des Westens ein existentielles Risiko für Komponisten dar. Allein der Markt bzw. der Marktwert bestimmt auch den Stellenwert. So ist auch die Ausbildung innerhalb der gegebenen Rahmenbedingungen sehr auf Selbstverwirklichung bedacht. Neuer Argwohn, etwa im sozialistischen Staat ja gefördert worden zu sein und somit kein moralisches Recht zu haben, im anders gearteten System kreativ zu sein, berücksichtigte einerseits nicht das tatsächliche Geschehen. Andererseits wurde die Wirklichkeit zunächst zu sehr an den äußerlichen Gegebenheiten festgemacht. Ressentiments innerhalb der Musikszene wirken sich zunehmend so aus, dass evtl. staatliche Förderungsmöglichkeiten auch stets im Blickwinkel bereits etablierter Stärken berücksichtigt werden. Ansonsten ist es jedem freigestellt, sich dem Markt zu stellen und dadurch seinen Marktwert selbst zu fördern. Innerhalb von Interessengemeinschaften der Berufsverbände und Vereine werden gemeinsame Anliegen formuliert, um sie verstärkt durchsetzen zu können. Das eigene Durchsetzungsvermögen und die jeweiligen Umstände einer Region bzw. eines sozialen Umfeldes wirken sich zwar zu allen Zeiten aus, Möglichkeiten der Selbstverwirklichung (unabhängig von negativen oder positiven Tendenzen), können im Gegensatz zum sozialistischen System allerdings innerhalb erweiterter Rahmenbedingungen ungebremst erfolgreich sein.
S. K.: Wie wirken sich die heutigen Voraussetzungen auf ihr künstlerisches Schaffen aus?
K. –D. K.: Die Auftragssituation änderte sich nach 1989 radikal, sodass ich aus Existenzgründen erheblich weniger als in den achtziger Jahren Kompositionen erarbeiten konnte. Erstmalige Aufführungen meiner Werke fanden zwar in Braunschweig, Wolfsburg, Nürnberg, Luzern, Lübeck, Kiel und weiteren Orten statt, doch permanente Aufführungen meiner Kompositionen wie in den achtziger Jahren gab es nicht mehr.
S. K.: Welche Förderungschancen sehen Sie heute als relevant an?
K. –D. K.: Die Förderung ist von der Zuwendung der Interpreten und jeweiligen Veranstalter innerhalb der unterschiedlichsten Gegebenheiten abhängig.
S. K.: Welche Defizite sehen Sie heute in der Förderung?
K. –D. K.: Die Rahmenbedingungen für eine gezielte Förderung müssten verbessert werden. Dies ist umso mehr erschwert, wenn Sparzwänge keine notwendigen Rahmenbedingungen ermöglichen. Sich aus der Verantwortung, neue Arbeiten dem Publikum anzubieten, herauszunehmen, sehe ich als verantwortungslos gegenüber der Schaffung kultureller/künstlerischer Werte an.

Fragen zum Personalstil

S. K.: Welche Komponisten waren für Ihr Schaffen einflussreich?
K. –D. K.: - Abgesehen vom Studium aller nur möglichen Kompositionen orientierte ich mich zunächst ausgiebig an Hindemith (1963/64), danach an Schönberg, Bartók, Strawinsky sowie Penderecki (1966/67).
S. K.: Mit welchen Techniken setzten Sie sich auseinander?
K. –D. K: Kurze Zeit beschäftigte ich mich mit der Aleatorik. Mein Bestreben war aber die genaue Notation, sodass ich mich Anfang 1968 lieber mit Messiaens Skalen, den variablen Metren (Blacher) und der Bitonalität (u. a. Wagner-Régeny) und den verschiedenen Möglichkeiten der Zwölftontechnik (von Hauers Tropenlehre über Schönbergs Reihentechnik, Bergs konsonanten Feldern bis Weberns Kon-struktionenen) beschäftigte. Nach der Beschäftigung mit der seriellen Technik (auch Schäffers Lehrbuch gab mir da manche Anregung) interessierte mich ausschließlich der bei der jeweiligen Arbeit gestiftete Zusammenhang, da die serielle Technik zwar eingehend studiert werden sollte, aber die reine Konstruktion selten geeignet ist, dem jeweiligen Material angepasst zu werden. Alle Gestaltungsprinzipien (für mich stets der bessere Begriff als musikalische Form) spielen schon frühzeitig (Anfang der siebziger Jahre z. B. bei meinem Oktett) bei der jeweiligen Komposition eine wesentliche Rolle.
S. K.: Welche Techniken benutzten Sie?
K. –D. K.: Die für das jeweilige Vorhaben angemessene bzw. für mich mögliche Technik sollte jeweils den geistig/emotionalen Zusammenhang (Ideengehalt) verdeutlichen. Alle o. g. Techniken fanden in unterschiedlichen Arbeiten jeweils Anwendung. Dabei habe ich mich bei der sparsam verwendeten Aleatorik (besonders bei textlich gebundenen Werken) an die so genannte „gelenkte Aleatorik“ gehalten. Dabei habe ich mich bemüht, im entsprechenden Gestaltungsrahmen die emotionale Ebene zu verdeutlichen, da sie besonders bei textgebundenen Arbeiten den Rezipienten berühren muss.
S. K.: Waren außermusikalische Kunstrichtungen für Ihr Schaffen von Bedeutung? Welche Künstler sind da zu nennen?
K. –D. K.: Die Maler aller Kunstrichtungen des 20. Jahrhunderts haben mich stets interessiert. Kompositorisch spielt Franz Marc in meiner Violoncello-Sonate eine Rolle, da ich meiner Faszination ihm gegenüber Ausdruck verleihen wollte. Max Liebermanns „Der Mann von 50 Jahren“ nach Goethe ist in seinen 36 Blättern für das Bühnenbild meiner Oper (sogar für Balletteinlagen mit der Allegorie des Geschehens auf dem Eis) von ausschlaggebender Bedeutung.
Für meine Oratorien und Liederzyklen spielten Schriftsteller aus allen Epochen eine entsprechende Rolle. Dabei war es mir sehr wichtig, bei dem Oratorium „Otto von Guericke“ außer wissenschaftlichen Zitaten auch künstlerische und philosophische Betrachtungen zu vertonen (z. B. Hesse, Anette Droste-Hülshoff, Logau und Holz).
S. K.: Welche textlichen Vorlagen haben Sie für welche Werke verwendet?
K. –D. K.: Textliche Vorlagen aus allen Epochen fanden in meinen Liedern und Oratorien Verwendung.
S. K.: Gab es Zusammenarbeit mit zeitgenössischen Schriftstellern? Mit welchen?
K. –D. K.: Persönlich mit Klaus Wolf, der den Text zum Magdeburger Oratorium schuf, und mit Dieter Peust, der für den Text zu „Bier und Puppen“ - ein Hans Sachs-Abend – verantwortlich war.
S. K.: Welchen Personen haben Sie welche Werke gewidmet?
K. –D. K.: „Unter dem Flügel des Albatros“ für Glasstabspiel für meine Frau Uta, „Jona“ für Orgel für Joachim Dalitz, die Sonate für Violoncello und Klavier für Hans - Joachim Scheitzbach, die Sonate für Violine und Klavier für Waltraut Wächter.
S. K.: Hatten Sie genügend Informationsmöglichkeiten, um an der neuen internationalen Musikentwicklung teilnehmen zu können? Konnten Sie ein umfassendes Bild gewinnen?
K.-D. K.: Durch die Lektüre von Copland informierte ich mich 1963 über die jüngere Generation von Komponisten in Amerika. Danach studierte ich die Methode von Hindemith, sah Partituren aus seinen „verrückten“ zwanziger Jahren und las die Kritik von ihm über die Gepflogenheiten bei der Preisverleihung neuer amerikanischer Komponisten. Hindemith selbst bekam ja nie einen solchen Preis. Seine Kompositionen waren mir weitgehend zugänglich, obwohl meine Komposition „In memoriam Hindemith“ (1966) nicht aufgeführt werden durfte, wegen Hindemiths Äußerung gegen die Mauer in Berlin (später änderte ich den Titel in „Ikarus” I und arbeitete den Sturz des Ikarus ein). Seit 1966 probierte ich Möglichkeiten der ja bekannten Zwölftontechnik aus. Nach ausgiebiger Beschäftigung mit den Reihen kam ich zu der Erkenntnis, dass man nach einer intensiven Beschäftigung auf „Rechnereien“ verzichten kann, da man die Vorgänge kennt und seine kompositorischen Intentionen jederzeit umsetzen könnte. So hat sich Hindemith (z. B. auch bei einer Fuge) stets für das Ohr und nicht für die „Berechnung” entschieden. Andererseits ist es gerade auch in der neuen Musik unumgänglich, dem Chaos eine feste rationale Ordnung zu geben. In einer Analyse von ca. 250 Seiten zu Strawinskys „Sacre du Printemps” von Scharschuchwird für mich auf sehr beeindruckende Weise bewiesen, dass eine einfache tonale Kadenz und einfache Klangstrukturen einer anscheinend komplizierten Klangstruktur zugrunde liegen können. In diesem Zusammenhang wurden mir auch einige Préludes von Debussy wichtig. Der Zusammenhang der gesamten musikgeschichtlichen Entwicklung wurde mir deutlich vor Augen geführt. Bei einer schwer auffassbaren Kadenz wäre solch ein analytisches Vorgehen nicht möglich gewesen. Zweifellos war es schwierig, neue Partituren zu sichten. Trotzdem hatte ich in den sechziger Jahren genügend vorliegen, denn neben der „Klassischen Moderne“ waren mir auch einige wichtige Arbeiten von Boulez, Ligeti, Nono und Berio zugänglich. Außerdem interessierten mich die Werke von Lutosławski. Ende der sechziger Jahre wurden dann auch Pendereckis Lukaspassion und die Kompositionen von Henze wichtig (Henzes Musik war in den Konzertsälen der größeren Städte der DDR und auch durch Werkanalysen in Mitgliederversammlungen des VKM bekannt). Da ich als Orchestermusiker mich auch stets für die gerade zu erarbeitenden Werke interessierte und mitunter durchaus keine Kosten (Tantieme) gescheut wurden, Werke von Westverlagen auszuleihen (oft auch wegen westlicher Solisten), gab es für mich ständig interessante Werke zu hören und zu analysieren. Computermusik hörte ich erstmalig zum „Warschauer Herbst” Mitte der achtziger Jahre, auch in Kombination zum herkömmlichen Instrumentarium (Holliger u. a.). 1987 hörte ich in Bratislawa die 1. Sinfonie von Yun, die besonders, was den Anfang anbetrifft, sehr beeindruckend war. Da ich in Bratislawa einige griechische Komponisten kennenlernte, ließ ich mir auch Partituren zuschicken. Trotzdem glaube ich, dass meine Entwicklung bei einer jederzeit freien Zugriffsmöglichkeit ohne eisernen Vorhang anders gewesen wäre.
S. K.: Gibt es Beweggründe, die für Ihr Schaffen wesentlich sind?
K. –D. K.: Angeregt durch die mich bewegenden Fragen der Gegenwart möchte ich mich musikalisch artikulieren. Dabei geht es mir nicht um versteinerte ästhetische Prinzipien, sehr wohl aber um Aktualität meiner musikalischen Äußerungen. Für neue Wege fühle ich mich stets aufgeschlossen. Den Beziehungsreichtum im musikalischen Auf- und Gegeneinander möchte ich erlebbar gestalten. Da zumindest eine Doppelbödigkeit durch Musik (bei reinen Wortbetrachtungen kann diese Doppelbödigkeit nicht gleichzeitig, nur nacheinander erfolgen) zutage tritt, kann die emotionale Ebene bei Wortbetrachtungen oder anderen einseitig besetzten Themen (z. B. bei einer Überschrift des Komponisten, die einen Hinweis apostrophieren soll) den tieferen Zusammenhang sofort herstellen. Da es außerdem künstlerisch nicht möglich ist, eine reale Gegebenheit zu transportieren, wird für mich so der gültige Zusammenhang hergestellt.

S. K.: Hat sich Ihre Motivation nach den achtziger Jahren wesentlich verändert?
K. –D. K.: Die o. g. Beweggründe für das Komponieren sind so geblieben.



 

Besonderer Dank gilt Sophia Kopf, die ihre Forschungsarbeit/Diplomarbeit
"Dokumentation des zeitgenössischen Musikschaffens in Magdeburg von 1980 bis 1989" (Institut für Musik - IMUS der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg) auszugsweise zur Verfügung gestellt hat.